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1. Die Gibbons im Rahmen der Hominoidea |
Die Hominoidea sind die weniger erfolgreiche Radiation der Catarrhini (Altweltaffen). Nach der hier vertretenen Systematik umfasst diese Gruppe nur 8 Gattungen mit insgesamt etwa 20 Arten, und mit Ausnahme des Menschen ist ihre Verbreitung auf die tropischen Wälder Afrikas und Südostasiens beschränkt. Allerdings war ihre Diversität noch zu Beginn des Miozäns (vor ca. 22 Mio. Jahren) viel grösser als die der Schwestergruppe, der Cercopithecoidea. Menschenaffen waren damals auch in Europa in diversen Arten und Gattungen weitverbreitet.
Abbildung 1.1. Stellung der Gibbons (Hylobatidae) im Stammbaum der Primaten.
In der Systematik der Hominoidea (Abbildung 1.1) sind die Monophylie der ganzen Gruppe und die frühe Abspaltung der Gibbons (und anschliessend der Orang-Utans) gut belegt. Auch an der Monophylie der aus den afrikanischen Menschenaffen und dem Menschen bestehenden Gruppe wird heute nicht mehr gezweifelt. Aus diesem Grund kann der Begriff "grosse Menschenaffen", der früher in der Systematik verwendet wurde und auf einer Klassifikation nach dem "Ähnlichkeitsprinzip" beruht, auch nicht mehr eine systematische Einheit bezeichnen. Wenn der Mensch mit einigen dieser "grossen Menschenaffen" (eben den afrikanischen) näher verwandt ist als mit anderen (den asiatischen Orang-Utans), sind die "grossen Menschenaffen" keine monophyletische Gruppe. Allerdings tun sich auch moderne Textbücher (z.B. Fleagle, 1999) noch schwer, die nomenklatorische Konsequenz daraus zu ziehen und gruppieren alle "grossen Menschenaffen" immer noch getrennt von der Gattung Homo in die Familie der Pongidae. Trotz der langen Tradition dieses Vorgehens ist ihm heute die systematische Grundlage entzogen. In diesem Text folge ich daher konsequent einer "moderneren" Einteilung: Die Familie der Hominidae schliesst neben Homo auch alle grossen die Menschenaffen mit ein (Pongo, Pan und Gorilla).
Phylogentisch weniger klar sind dagegen die Verwandtschaftsverhältnisse inerhalb der Familien Hylobatidae und Hominidae. Im Beispiel der Hominidae lassen viele genetische Studien eine nähere Verwandtschaft zwischen Homo und Pan vermuten, während andererseits Pan und Gorilla einige morphologische Gemeinsam keiten zeigen, bei denen es sich um synapomorphe Merkmale zu handeln scheint.
Eine Gattungsliste der Hominoidea ist in Tabelle 1.1 zusammengestellt.
Tabelle 1.1. Familien und Gattungen der Hominoidea (wissenschaftlicher, deutscher und englischer Name).
Familie Hylobatidae | ||
Gattung: Hylobates | Kleine oder Zwerggibbons, Lar-Gruppe | Small or dwarf gibbons, lar group |
Gattung: Hoolock | Hulocks | Hoolocks |
Gattung: Nomascus | Schopfgibbons, Concolor-Gruppe | Crested gibbons, concolor group |
Gattung: Symphalangus | Siamangs | Siamangs |
Familie Hominidae | ||
Gattung: Homo | Menschen | Humans |
Gattung: Gorilla | Gorillas | Gorillas |
Gattung: Pan | Schimpansen | Chimpanzees |
Gattung: Pongo | Orang-Utans | Orangutans |
Die Hominoidea unterscheiden sich von ihrer Schwestergruppe, den Cercopithecoidea ("geschwänzte Altweltaffen"), durch einige ursprüngliche Merkmale der catarrhinen Primaten, aber auch durch diverse gemeinsam abgeleitete Spezialisationen. Zu den ursprünglichen Merkmalen gehören:
Abbildung 1.2. Entwicklungsschema des hominoiden Molarenmusters (b) aus dem hypothetischen ursprünglichen Molarenmuster der Anthropoidea (a) (nach Ankel, 1970, S. 79).
Die Hominoidea zeichnen sich auch durch zahlreiche abgeleitete Merkmale aus. So ist zum Beispiel das Gehirn relativ gross. Die meisten abgeleiteten Merkmale stammen allerdings aus dem Bereich des postkranialen Skeletts. Viele davon dürften mit der Aufrichtung des Körpers bei bestimmten Lokomotionsformen (Bipedie, Suspension) in Zusammenhang stehen:
Abbildung 1.3. Brustkorb und rechter Teil des Schultergürtels bei einem Makaken und beim Menschen, von oben gesehen und auf etwa gleiche Grösse gebracht (nach Schultz, 1972, S. 112).
Tabelle 1.2. Gattungen der Catarrhini, geordnet nach
aufsteigendem Intermembralindex (Daten aus Fleagle, 1999).
Homo | H | 72 | Chlorocebus | Ce | 83 | Papio | Ce | 95-97 |
Presbytis | Co | 75-78 | Miopithecus | Ce | 83 | Theropithecus | Ce | 100 |
Lophocebus | Ce | 78 | Cercocebus | Ce | 83-84 | Pan | H | 102-106 |
Colobus | Co | 78-79 | Macaca | Ce | 84-100 | Gorilla | H | 116 |
Cercopithecus | Ce | 79-86 | Piliocolobus | Co | 87 | Hylobates | H | 126-130 |
Procolobus | Co | 80 | Erythrocebus | Ce | 92 | Hoolock | H | 129 |
Semnopithecus | Co | 80-83 | Nasalis | Co | 94 | Pongo | H | 139 |
Trachypithecus | Co | 82-83 | Pygathrix | Co | 95 | Nomascus | H | 140 |
Allenopithecus | Ce | 83 | Mandrillus | Ce | 95 | Symphalangus | H | 147 |
Tabelle 1.3. Einige Wirbelzahlen von Vertretern der Anthropoidea
(Mittelwerte, nach Schultz, 1961).
Cervical | Thoracal | Lumbal | Sacral | Caudal | ||
---|---|---|---|---|---|---|
Platyrrhini | Callitrichidae | 7 | 13 | 7 | 3 | 29 |
Cebinae | 7 | 12 | 5.5 | 3 | 26 | |
Aotinae | 7 | 14 | 7 | 3 | 25 | |
Callicebinae | 7 | 12 | 7 | 3 | 25 | |
Pitheciinae | 7 | 13 | 6 | 4 | 24 (13*) | |
Atelinae | 7 | 14 | 4 | 3 | 29 | |
Alouattinae | 7 | 14 | 5 | 3 | 27 | |
Cercopithecoidea | Papionini | 7 | 12 | 7 | 3 | 20 ** |
Cercopithecini | 7 | 12 | 7 | 3 | 25 | |
Colobinae | 7 | 12 | 7 | 3 | 26*** | |
Hominoidea | Hylobates | 7 | 13 | 5 | 5 | 3 |
Symphalangus | 7 | 13 | 4 | 5 | 2 | |
Pongo | 7 | 12 | 4 | 5 | 3 | |
Gorilla | 7 | 13 | 4 | 6 | 3 | |
Pan | 7 | 13 | 4 | 6 | 3 | |
Homo | 7 | 12 | 5 | 5 | 4 |
Abbildung 1.4. Ventralansicht des Rumpfskeletts eines adulten Makakenweibchens verglichen mit dem verschiedener Vertreter der Hominoidea, alle auf etwa gleiche Grösse gebracht (nach Schultz, 1969, S. 78).
Abbildung 1.5. Fussskelett von verschiedenen Vertretern der Anthropoidea, alle auf etwa gleiche Gesamtlänge gebracht (aus Martin, 1990, S. 495, nach Morton, 1924).
Einige der genannten sowie weitere abgeleitete postkraniale Merkmale der Hominoidea sind in Abbildung 1.6 zusammengefasst.
Abbildung 1.6. Charakteristische Skelettmerkmale rezenter Hominoidea, illustriert am Beispiel des Siamang (nach Fleagle, 1999, S. 237).
Auch in ihrem Verhalten und der Ökologie zeigen die Hominoidea zahlreiche Unterschiede zu den Cercopithecoidea. Hier ist aber oft nicht klar, zu welchem Grad es sich dabei um abgeleitete hominoide Merkmale oder ursprüngliche anthropoide Merkmale handelt.
Im allgemeinen (unter Berücksichtigung der Körpergrösse) haben Hominoide längere Tragzeiten und es dauert länger, bis sie die Geschlechtsreife erreicht haben.
Die Sozialstruktur der Hominoidea ist normalerweise nicht um Matrilinien organisiert, und die Weibchen verbleiben normalerweise nicht in ihrer Natalgruppe. Mehrere Arten scheinen bei der Nahrungssuche einer fission-fusion-Organisation zu folgen.