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Einführung
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7. Ontogenese |
Gibbons haben Einlingsgeburten; Zwillinge sind äusserst selten (Dal Pra &
Geissmann, 1994; Dielentheis et al., 1991; Geissmann, 1989). Die Geburtsgewichte
von Gibbons (Mittelwerte ± Standardabweichung) liegen bei 406±55 g
(n=7) für die Gattung Hylobates, bei 487±87 g (n=3) für Nomascus,
und bei 551±88 g für Symphalangus (Geissmann & Orgeldinger,
1995). Die Gattungsunterschiede im Geburtsgewicht spiegeln also etwa die Unterschiede
der Adultgewichte wieder (Geissmann, 1993). Von der Gattung Hoolock sind keine
Geburtsgewichte bekannt, aber wenn man von den Adultgewichten Rückschlüsse
ziehen darf, dürften sie etwa denen von Nomascus ähneln.
Die Tragzeit scheint bei allen Gibbons bei etwa 7 Monaten zu liegen (Geissmann, 1991),
aber auch hierzu sind für die Gattung Hoolock keine Daten verfügbar.
Wie andere Hominoiden haben auch die Gibbons relativ lange prae-adulte Entwicklungsphasen (Abbildung 7.1).
Abbildung 7.1. Vergleich der der Dauer von Entwicklungsstadien einiger Primaten (nach Fleagle, 1999, S. 41 und Schultz, 1972, S. 193, verändert).
Basierend auf Zoo- und Freilandbeobachtungen wird allgemein angenommen, dass Gibbons
der Gattung Hylobates mit etwa 6 bis 8 Jahren geschlechtsreif werden, bei
Siamangs (Symphalangus) scheint dies mit etwa 8 bis 9 Jahren der Fall zu sein.
Der Zeitpunkt dieses Wechsels scheint aber recht variabel zu sein, zumindest bei
Zoogibbons. So können im Zoo gehaltene männliche Schopfgibbons (Nomascus)
und Siamangs mitunter schon im Alter von 4 beziehungsweise 4.3 Jahren Nachwuchs zeugen.
Ähnlich können Weibchen der Gattungen Hylobates und Symphalangus
bereits im Alter von 5.1 beziehungsweise 5.2 Jahren empfängnisbereit sein (Geissmann,
1991).
Zumindest in Zoostudien haben sich für alle Gibbongattungen folgende Alterskategorien
bewährt (Geissmann, 1993): Infantes 0 bis 2 Jahre; Juvenile >2 bis 4 Jahre,
Subadulte >4 bis 6 Jahre; Adulte älter als 6 Jahre. Bei freilebenden Gibbons
können die Reifeprozesse eventuell länger dauern.
Zoogibbons können bis 48 Jahre alt werden. Die Lebensdauer in freier Wildbahn
dürfte bei 25 bis 35 Jahren liegen (Schätzung), doch vergleichbare Freilanddaten
stehen noch aus.
Bei manchen Gibbonarten durchlaufen die Jungtiere während ihrer Entwicklung
ganz ungewöhnliche Wechsel in Gesang und Farbe. Dies wird am Beispiel der Schopfgibbons
(Nomascus) gezeigt.
Bei den Schopfgibbons sind erwachsene Weibchen gelblich mit scharzem Scheitelfleck
und erwachsene Männchen schwarz (bei manchen Arten mit hellen Wangen) (Abbildung
7.2). Alle Jungtiere werden dagegen mit einem gelben Fell geboren, welches der Färbung
adulter Weibchen ähnelt. Bereits gegen Ende des ersten Lebensjahrs nehmen alle
Jungtiere eine schwarze Färbung an, die derjenigen der erwachsenen Männchen
entspricht. Erst um die Zeit der Geschlechtsreife ändern die weibliche Jungtiere
die Farbe ein zweites Mal und nehmen die für adulte Weibchen typische helle
Färbung an.
Abbildung 7.2. Farbwechsel beim Schopfgibbon:
a.) Ein jung adultes Paar (Nomascus gabriellae). Das Männchen zeigt eine fast vollständig schwarze Fellfärbung, das Weibchen dagegen eine gelbe.
b.) Adultes Weibchen (N. leucogenys) mit Neugeborenem. Alle Jungtiere sind bei Geburt gelb und wechseln erst im Alter von mehreren Monaten zum schwarzen Fell.
c.) Subadultes Weibchen (N. gabriellae) in der Umfärbung. Bei Erreichen der Geschlechtsreife wechseln einzig die Weibchen von schwarz zu gelb. Die Umfärbung kann einige Monate dauern, während derer die Weibchen zunehmend heller werden und ungewöhnliche Übergangskleider annehmen. Dieses fast fünfeinhalb Jahre alte Weibchen ist mehrheitlich grau gefärbt, zeigt aber schon rein gelbe Färbung auf der Brust und über den Ohren, so dass der schwarze Scheitelfleck erwachsener Weibchen bereits gut erkennbar ist. (Fotos: T. Geissmann; Zoo Leipzig; Ménagerie du Jardin des Plantes, Paris; und Hong Kong Zoo).
Ähnlich drastische Farbwechsel finden wir neben den Schopfgibbons auch beim Hulock (Hoolock hoolock) und beim Kappengibbon (Hylobates pileatus). Bei anderen Gibbons sind die Farbwechsel weniger auffällig (H. agilis, H. lar, H. moloch, H. muelleri) oder fehlen ganz (H. klossii, Symphalangus syndactylus).
Jungtiere der Schopfgibbons beteiligen sich schon im ersten Jahr an den Gesängen
ihrer Eltern. Interessanterweise singen sie bis ins Erwachsenenalter ausschliesslich
kurze, weibchenartige Strophen (great calls), welche sie immer gleichzeitig
mit den Strophen ihrer Mutter ausstossen. Erst etwa mit der Geschlechtsreife wechseln
die herangewachsenen Männchen ihr Repertoire und beginnen, statt great calls
Männchenstrophen zu singen.
Dieser Wechsel im Gesangsrepertoire scheint bei allen Gibbonarten aufzutreten. Bei
manchen Arten singen die Jungtiere jedoch seltener im Familienverband mit als bei
anderen, und der Wechsel ist dann weniger auffällig.
Während mehrerer Jahre ihres Lebens sehen alle jungen Schopfgibbons wie adulte Männchen aus, singen aber wie adulte Weibchen. Die Jungtiere geben also ständig eine paradoxe Information über ihr Geschlecht ab. Der Grund für diese bei Säugetieren einmalige Besonderheit ist noch nicht geklärt. Möglicherweise verringern Jungtiere durch ihre widersprüchlichen Signale ihre sexuelle Attraktivität. Dadurch verringert sich die Gefahr von Inzest, solange sie sich in der Familiengruppe aufhalten. Zudem könnten die widersprüchlichen Signale dazu führen, dass heranwachsende Tiere von den Eltern nicht als Konkurrenten betrachtet werden und länger in der Gruppe verbleiben dürfen. Leider sind diese ungewöhnlichen ontogenetischen Phänomene bislang nur wenig erforscht.